Orientierung finden in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise
Am 15. Juni 2024 organisiert die Gemeinde Grefrath zum ersten Mal einen Nachhaltigkeitstag zusammen mit einem Aktionstag für Städtebauförderung rund um die Albert-Mooren-Halle und den Markplatz in Oedt. Gruppen und Vereine können ihre Projekte vorstellen und Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen motivieren.
Der Nachhaltigkeitstag wurde erstmals in Deutschland 2012 anlässlich der Weltkonferenz von Rio ins Leben gerufen. 2015 verabschiedete dann die Weltgemeinschaft die Agenda 2030, einen Aktionsplan, der im Kern aus 17 globalen nachhaltigen Entwicklungszielen besteht. Die unterzeichnenden Staaten verpflichteten sich damit, die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren und allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Seit 2015 finden dazu Aktionstage im Rahmen einer Europäischen Nachhaltigkeitswoche statt. Damit soll die Öffentlichkeit auf das Thema Nachhaltigkeit und diese Entwicklungsziele aufmerksam gemacht werden.
Angesichts des Klimawandels, dessen dramatische Folgen immer sichtbarer werden, und einer Biodiversitätskrise, die in der Breite noch immer nicht als so gefährlich wahrgenommen wird, wie es nötig wäre, ist ein Nachhaltigkeitstag eine gute Gelegenheit, an die Notwendigkeit einer Transformation unserer Welt zu erinnern, wie es sich die Agenda 2030 zum Ziel gesetzt hat. Denn die Überschwemmungen, Dürren, Brände, die Gefährdung der Arten und die Zerstörung ihrer Lebensräume nehmen zu, zerstören unsere Welt und machen sie unbewohnbar. Die Wissenschaft liefert immer neue besorgniserregende Daten, nennt aber auch unterschiedlichste Lösungen und mahnt zu schnellster Umsetzung. Wo ist dazu Orientierung zu finden bei der Vielzahl dieser Informationen? Wie sind Erscheinungsformen, Ursachen und Lösungsmöglichkeiten einzuordnen? Wie geht man mit strittigen Themen um wie zum Beispiel dem Thema „Postwachstumsökonomie versus Degrowth“ oder wie kann man unterscheiden, was wahr ist oder was zum Komplex von Desinformationskampagnen gehört.
Wie verwirrend Informationsmengen zum Beispiel im Bereich Klimaschutz werden können, sah man am 23.05.2024 auf einer Onlineveranstaltung von Europe Calling zum Thema „Green Deal Done“. Dort sprach u.a. Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Mitbegründerin von Fridays for Future, über Gegenbewegungen, die sich jetzt, wo wir zur Konkretisierung der Klimaziele übergehen, sehr stark präsentieren würden. Da sei zum einen die Diskrepanz zwischen dem, was in Wirtschaft und Politik zu Klimapolitik gesprochen wird und dem weiter im Hintergrund agierenden fossilen Handeln. Zum anderen gebe es die Argumentation, dass jeweils die anderen zu sehr belastet würden mit bestimmten Maßnahmen, seien es die Jungen in Zukunft, die Landwirtschaft oder der Mittelstand. Die Angst vor der sozialen Belastung solle vermitteln, dass der Status quo doch besser sei. Und ebenso kalkuliert eingesetzt werde die Bekämpfung der wissenschaftlichen Erkenntnisse mit einer gezielten Wertedebatte.
Welches sind die Lösungen, die die Folgen von Klimawandel und Biodiversitätsverlust erträglich machen und bei der Bewältigung der großen Transformation helfen, ohne dabei falschen Argumentationsketten oder Angstdebatten zu erliegen? Klar ist, dass wir bis 2045 Klimaneutralität erreicht haben müssen, dass wir schonender mit unseren Ressourcen umgehen müssen, dass die Biodiversitätskrise dringendes Handeln erforderlich macht und dazu das Renaturierungsgesetz auf nationaler Ebene möglichst bald umgesetzt werden muss und wir mit weniger Versiegelung der Natur ausreichend Lebensraum sichern müssen. Und klar ist auch, dass diese Ziele einen Wandel nötig machen, den wir alle gemeinsam mittragen müssen.
In einem kürzlich erschienenen Beitrag versucht Reinhard Loske, Leiter der Forschungsgruppe „Zukunftsfähiges Deutschland“ am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie, im Diskurs um diesen Wandel Orientierung zu geben.
Liegt die ökologische Verantwortung beim Individuum oder bei den großen Stellschrauben in der Politik? Soll es um Beschleunigen grüner Technologien gehen oder um Suffizienz? Steigen wir in neue Technologien oder steigen wir von irgendwas aus wie zum Beispiel der Massentierhaltung? Wie sind soziale und ökologische Aspekte zu vereinbaren?
Es gibt verantwortungsvolle Individuen, die mit der Veränderung ihrer Lebensstile wertvolle Beiträge zum nötigen Wandel leisten. Bei allem Respekt dafür würden wir aber allein durch diese Beiträge die gemeinsamen Ziele verfehlen. Die Verantwortung kann nicht allein auf einzelne abgewälzt werden. Hier müssten, so sagt Delara Burckhardt, EU-Abgeordnete der SPD und Mitglied im Umweltausschuss des Europaparlamentes, die Unternehmen in die Pflicht genommen werden, mehr auf Nachhaltigkeit zu setzen. Damit ist aber auch die Politik gefragt. Sie kann durch verbessertes Umweltrecht in die richtige Richtung lenken, mit der Gesetzgebung die Rahmenrichtlinien für unser Handeln schaffen und mit geeigneter Finanzpolitik Steuergeld so verteilen, dass Nachhaltigkeit auch sozial gerecht umgesetzt werden kann.
Der wesentliche Hebel für Nachhaltigkeit, für einen wirksamen Klimaschutz, für den Schutz vor den katastrophalen Folgen des Klimawandels und für den Schutz der Biodiversität liegt, das sieht auch Loske so, bei der Politik. Die Politik der Ampelkoalition hat in der Klimapolitik bisher jedoch noch zu keiner richtigen Wende geführt. Wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 15.05.2024 bestätigt, reiche z.B. das Klimaschutzprogramm der Ampel nicht aus, um die Klimaziele bis 2030 einzuhalten. Es muss konkret nachgebessert werden.
Zwar hatte das Umweltbundesamt im März mit den Projektionsdaten für 2024 noch gemeldet, dass Deutschland die Klimaziele bis 2030 einhalten könne, aber im Juni hat der Expertenrat in seinem Sondergutachen diese projizierte Zielerreichung nicht bestätigen können. Das kann fatale Auswirkungen haben. So sagt zum Beispiel die EU-Umweltagentur (EEA) im neuen Lancet Countdown Bericht, dass die Geschwindigkeit, mit der Europa Netto-Null-Emissionen erreichen will, immer noch bei Weitem nicht ausreiche. Der Klimawandel werde zu mehr Dürren und Überschwemmungen führen und deren Auswirkungen auch die Wasserqualität negativ beeinflussen, so dass es zu Ausbrüchen von Infektionskrankheiten und Todesfällen kommen kann. Wir müssen vermeiden, dass es zu solchen Auswirkungen kommt, indem wir alles mobilisieren, was möglich ist.
In der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vom 28.02.2020 heißt es: „Wir haben den Weg zur nachhaltigen Entwicklung vorgezeichnet; es wird an uns allen liegen, dafür zu sorgen, dass die Reise erfolgreich ist und die erzielten Fortschritte unumkehrbar sind.“ Dazu passt auch, dass Reinhard Loske in seinem Beitrag zwischen individueller und politischer Ausgestaltung der Transformationsaufgabe noch eine „dritte Dimension“ sieht, „einen Raum für vielfältigste, soziale, unternehmerische und zivilgesellschaftliche Nachhaltigkeitsinitiativen“. Alle einen die globalen Nachhaltigkeitsziele. Ziel Nr. 13 zum Beispiel formuliert die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen. Bei anderen geht es um Ressourcenschonung, Schutz der Ökosysteme, Resilienz in unseren Siedlungen, eine nachhaltige Bewirtschaftung und Produktion. (Reinhard Loske: Die Dialektik der ökologischen Transformation. 16.03.2023)
In diese dritte Dimension passt der Nachhaltigkeitstag in Grefrath, an dem zahlreiche Akteure ihre Beiträge zum Thema Nachhaltigkeit vorstellen werden. Dass erfreulich viele mitmachen, zeige, wie wichtig das Thema Nachhaltigkeit den Menschen hier vor Ort sei, schlussfolgert Ina Weise, zuständig für den Klimaschutz der Gemeinde, in einem Artikel über den Aktionstag in der RP vom 11. Juni 2024. Noch erfreulicher wäre es, wenn an diesem Samstag viele Bürgerinnen und Bürger zum Marktplatz und der gegenüberliegenden Albert-Mooren-Halle kämen. Hier wird im Kleinen an den Ständen zu den verschiedensten Nachhaltigkeitsthemen Orientierung geboten. Es wäre ein großer Gewinn, wenn in diesem „Raum für vielfältigste, soziale, unternehmerische und zivilgesellschaftliche Nachhaltigkeitsinitiativen“ ein klein wenig von der Transformationsaufgabe verwirklicht werden könnte. Wenn die Besucher hier vor Ort aus den ganz konkreten Beispielen bei Klima, Ernährung, Gesundheit, Ressourcenschonung oder Artenvielfalt brauchbare Anregungen mitnehmen können. Wenn die Umsetzung dann Wirksamkeit bei der Reduktion von Emissionen, beim Einsparen unserer Ressourcen und beim Schutz der Arten entfaltet.