Biodiversität: Überlebenswichtiger Reichtum der Natur

Was können wir beitragen, um die Stabilität unseres Planeten zu erhalten?

Im Sommer 2023 kam nach einer ersten Veranstaltung der Bürgerinitiative „Grefrath kann Klima“ eine Biodiversitätsgruppe zusammen. Die Gruppe hat sich vorgenommen, nach ihren Möglichkeiten aktiv mit Projekten am Klimaschutz und an der Umkehrung des Biodiversitätsverlustes zu wirken. Dabei ist die Hoffnung, dass durch das Bekanntmachen von Aktivitäten in der Öffentlichkeit eine größere Aufmerksamkeit für das Thema „Biodiversitätsverlust“ erreicht wird.

Hintergrund für die Beteiligung in der Gruppe war bei allen die ernste Lage des Zustandes der Natur, den aktuelle Studien aufzeigen. Danach ist der Zustand unserer Biosphäre dramatisch schlecht. Zwischen 2015 und 2019 wurden mindestens 100 Millionen Hektar gesunden und produktiven Landes degradiert. Landdegradation führt zum Aussterben von Arten und verstärkt den Klimawandel. Rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Das besagt eine ganz neue Studie, die die Daten des letzten IPBES-Berichtes von 2019 korrigiert, der von einer Million ausgegangen war. Eine solche Verdopplung ist alarmierend (Hochkirch et al. 2023 A multi-taxon analysis of European Red Lists reveals major threats to biodiversity). Ebenso ist der Waldverlust, das zeigen Daten aus dem Jahr 2020, weiterhin hoch. Das bedeutet einen Verlust der Lebensgrundlagen für viele Menschen und erhöht auch den Eintrag der Treibhausgasemissionen (THG) in die Atmosphäre.

Zu dem, was auf dem Spiel steht, sagt Jutta Paulus, Europaabgeordnete, die das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Renaturierungsgesetz) in Brüssel mitverhandelt hat, dass wir keine Industriewirtschaft aufbauen können ohne sauberes Trinkwasser, ohne Luft zum Atmen, ohne fruchtbare Böden. Es gebe Jobs nur in einer intakten Welt. Maßnahmen wie zum Beispiel der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft reichen für die Stabilität unseres Planeten allein nicht aus. Wir brauchen dringendst den Schutz der Biosphäre genauso wie das Stoppen des CO2- Ausstoßes. Die Grundlage für ein Zusammendenken von Funktionsfähigkeit der Biosphäre und Klimaschutz liefern wissenschaftliche Daten einer neuen Studie zu den planetaren Grenzen vom 13.09.2023, erschienen in „Science Advances“, an der auch das Potsdam-Institut beteiligt ist.

Erstmals wurden darin planetare Belastungsgrenzen quantifiziert, das sind Grenzen, deren Überschreitung die Stabilität unseres Erdsystems gefährden. Überschreitungen sind bei sechs von neun untersuchten planetaren Grenzen festgestellt worden (globale Erwärmung, Biosphäre, Entwaldung, Schadstoffe/Plastik, Stickstoffkreisläufe und Süßwasser). Deren Prozesse sind entscheidend für die Widerstandsfähigkeit unseres Erdsystems. In dieser Studie wurde der Anteil der menschlichen Aktivitäten an den Störungen beschrieben, die zu den Überschreitungen führen. Mit dem höchsten Risiko behaftet ist dabei die Biosphäre, das ist die Gesamtheit aller mit Lebewesen besiedelten Schichten der Erde (oberste Erdkruste, Wasser/Hydrosphäre, Atmosphäre/planetare Grenzschicht). Möglich wird das Funktionieren der Biosphäre überhaupt erst durch die genetische Vielfalt. In der Geschichte unserer Erde ist sie durch natürliche Selektion entstanden. Dabei gehörten immer auch dynamische und anpassungsfähige Veränderungen dazu, beeinflusst seit mehr als drei Milliarden Jahren durch die Wechselwirkungen von Geosphäre und Biosphäre. Mit den menschlichen Aktivitäten ist ein Störfaktor hinzugekommen. Dieser störende Einfluss fand schon seit dem späten 19. Jahrhundert statt, seit sich die Landnutzung extrem beschleunigte – weltweit – mit starken Auswirkungen auf die Arten. Der menschliche Einfluss besteht darin, dass wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden, aber eben auch weiterhin zu viel Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre geben und den Klimawandel weiter beschleunigen. Für den Zustand der genetischen Vielfalt und die belastbare Grenze wird in der Studie als Indikator die Aussterberate herangezogen. Als Grenze wurde <10 E/MSY (Extinctions per Million Species Years) als maximale Aussterberate festgelegt. Die gegenwärtige Rate des Artensterbens wird auf das Zehn- bis Hundertfache höher geschätzt als die durchschnittliche Rate der letzten zehn Millionen Jahre. Aktuell liegt die Rate bei >100 E/MSY. Damit ist der sichere Handlungsraum für die genetische Vielfalt deutlich überschritten, und es ist in Frage gestellt, ob das zukünftige Leben noch in der Lage sein wird, sich an die Veränderungen des Erdsystems anzupassen (Katherine Richardson et al. Earth beyond six of nine planetary bounderies 13.09.2023 10.1126/sciadv.adh 2458).

Wie gehen wir mit dieser Situation um? Und wie kommen wir wieder zu einer intakten Biosphäre? Kann Kreislaufwirtschaft helfen, den zunehmenden Verlust der biologischen Vielfalt zu bekämpfen? Diese Frage versucht Annie Button in einem Artikel vom 30.03.2023 bei Earth.Org. zu beantworten. Wir verlieren die Artenvielfalt in alarmierendem Tempo. Dabei gehen 90 Prozent des Verlustes auf das Konto der Gewinnung und Verarbeitung natürlicher Ressourcen. Von den natürlichen Ressourcen verbraucht die Menschheit derzeit nämlich mehr als der Planet verkraften kann. Unter den Branchen, auf die der Verlust der Artenvielfalt in besonderem Maße zurückzuführen ist, ist die Ernährung der Hauptsektor, und hierin sind es besonders die tierischen Produkte, denn die Hälfte der bewohnbaren Fläche der Welt wird für die Futtermittelherstellung genutzt. Dazu werden riesige Waldflächen gerodet. Wir wirtschaften bisher in eine Richtung: Wir entnehmen natürliche Ressourcen, verarbeiten sie und am Ende landen die Produkte irgendwann auf dem Müll. Falsche Landnutzung, Umweltverschmutzung, riesige Mengen CO2-Emissionen mit sich beschleunigender Erderwärmung aufgrund übermäßiger Produktion mit immer mehr Entnahme natürlicher Ressourcen haben einen gewaltigen Einfluss auf den Biodiversitätsverlust. Wir können aber diesen übermäßigen Konsum durch die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft mit Wiederverwendung und Ressourcenschonung abmildern, indem wir uns vom linearen Wirtschaften verabschieden und stattdessen aus Abfällen Materialien extrahieren, wieder verarbeiten, und wenn diese wiederverwerteten Produkte zu Abfall werden, wird solange daraus extrahiert bis die extrahierten Stoffe irgendwann nur noch vergärt und in den Boden zurückgeführt werden können. Auch lässt sich aus Abfällen Energie erzeugen (Why the circular economy could be the answer to tackling biodiversity loss by Annie Button 30.03.2023 earth.org). Zur Wasserwiederverwendung gibt es heute ebenfalls Möglichkeiten. Man kann behandeltes Abwasser für die landwirtschaftliche Bewässerung wieder nutzbar machen. Dieser Kreislaufansatz für die Nutzung von Wasser ist enorm wichtig, da es in manchen Regionen Europas zu bestimmten Zeiten eben nicht mehr genug regnet. Bei uns in Westeuropa hatte dies in den Jahren 2018 und 2019 zu extremer Dürre geführt. Durch die Abwasserreinigung und die Wiederverwendung zur Bewässerung würde der Druck auf die Wasserressourcen verringert und der Schutz der Biodiversität verbessert (Water reuse: New EU-rules to improve access to safe irrigation 26.06.2023). Eine noch wenig diskutierte Möglichkeit fokussiert die Ressourcenschonung, die mit politischen Maßnahmen die Reduktion von Ressourcenverbrauch steuert, auch als Suffizienzpolitik (Material und Energie einsparen) bezeichnet. Dabei meint Suffizienz in der Politik einen Ressourcenverbrauch, der innerhalb der Grenzen ökologischer Tragfähigkeit des Planeten bleibt. Es geht zunächst einmal ganz allgemein um die Einschränkung übermäßigen Konsums. Maßnahmen mit Auswirkungen auf den Schutz der Ökosysteme gibt es im Besonderen im Bereich Gebäude/Verkehr oder auch auf dem Ernährungssektor. Was Gebäude/Verkehr betrifft, kann in der Stadtplanung viel zum Schutz der Natur erreicht werden, wenn einfach weniger versiegelt würde und dadurch mehr Lebensraum für Pflanzen- und Tierwelt erhalten bliebe. Die gleiche Auswirkung hätte ein grundlegender Flächenschutz und bei Neubauten die Verringerung der Pro-Kopf-Wohnfläche. In der oben erwähnten Studie zu den planetaren Grenzen wurde aufgezeigt, dass wir zu viel Biomasse entnehmen. Für die Lebensgemeinschaften in den Ökosystemen ist als energetische Basis elementar die Nettoprimärproduktion, das ist das Wachstum der grünen Pflanzen, das von den Lebewesen mit der Kraft der Sonne durch Photosynthese hergestellt wird. Der menschliche Anteil aber, den wir von der Biomasseproduktion entnehmen ist so hoch geworden, dass er sich zu einem solchen Störfaktor entwickelt hat, dass das Funktionieren der Ökosystemleistungen nicht mehr sichergestellt ist. Im Bereich der Lebensmittelherstellung und – verwendung kippen wir jährlich vier Millionen Bioabfall in den Restmüll, der eigentlich weiterverwertet werden könnte, abgesehen davon, dass ein großer Teil davon gar nicht im Müll hätte landen müssen, wenn bewusster eingekauft würde, Reste vom Vortag weiterverwertet würden und im Einzelhandel das Wegwerfen von Lebensmitteln verboten und bestraft würde (Suffizienzpolitik als Booster zum Erreichen der Klimaschutzziele. Zukunftsimpuls Nr. 27/ Sept. 2023. wupperinst.org).

Der wesentliche Hebel für wirksamen Schutz der Natur liegt bei der Politik. Wenn deren Maßnahmen aber auf einen fruchtbaren Boden fallen sollen, muss er bereitet werden, d.h. es muss für Akzeptanz und Eigeninitiative bei den Bürgerinnen und Bürgern geworben werden. Lokal ist es also eine sinnvolle Aufgabe, zu einer Sensibilisierung für Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft und Suffizienz beizutragen und deren Bedeutung, aber vor allem auch deren Nutzen vor Augen zu führen und diese Botschaften weiterzuverbreiten. Oben ist eine Biodiversitätsgruppe erwähnt und dass sie sich vorgenommen habe, nach ihren Möglichkeiten aktiv am Klimaschutz und an der Umkehrung des Biodiversitätsverlustes zu wirken. Wenn man sich in anderen Kommunen umschaut, gibt es schon viele gute Beispiele, die auch hier vor Ort einen kleinen Beitrag dazu leisten können. 2016 entstand im Neersener Schlosspark im Rahmen der Parkerweiterung eine Schmetterlingsinsel für Falter und andere Insekten mit Magerwiese, Totholz und Wiesenstauden. In so einem Gartenbereich werden auch mit Hilfe von Insekten die Stoffkreisläufe in der Natur erhalten. Im Boden lebende Insekten, wie zum Beispiel Wildbienenarten, tragen dazu bei, dass Blätter und Holz kompostiert und der Dung anderer Tiere zersetzt und damit wieder in den Naturkreislauf übergeführt werden. Die Bodenfruchtbarkeit wird dadurch massiv erhöht. Leider ist der Rückgang der Wildbienenarten auch durch den Mangel an Wildblumenwiesen hervorgerufen worden. Wir können aber im urbanen Raum etwas dagegen tun, indem wir die blütenarmen städtischen Vielschnittrasen, auf denen durch die dichte Grasnarbe keine Kräuter mehr gedeihen können, umwandeln in Schmetterlingsgärten. Deshalb ist das Projekt „Blühwiese in Oedt“ geplant. Es soll zeigen, wie die Natur dem Menschen in ihrer Funktion der Stoffkreisläufe ein guter Ratgeber sein kann, an dem sich nicht zuletzt das Prinzip der Kreislaufwirtschaft im ökonomischen Bereich orientiert.

Schmetterlingsinsel im Neersener Schlosspark