Klimawandel und Auswirkungen
Wir leben in Zeiten zunehmender Intensität, Häufigkeit und Dauer extremer Wetterereignisse mit gravierenden Auswirkungen für jeden auf dem Planeten. Jetzt sieht auch die Landesregierung Handlungsbedarf in Sachen Vorsorgepolitik und hat eine Klimaanpassungsstrategie mit 110 Maßnahmen in 16 Handlungsfeldern beschlossen, die am 1. Oktober vorgestellt wurde.
Schon im Juli hatte sich Antonio Guterres zum Beispiel mit einem Aufruf zum Handeln gegen extreme Hitze an die Politiker und privaten Führungskräfte der Welt gewandt. Darin benennt er als die wichtigsten Probleme durch extreme Hitze:
Die Zunahme hitzebedingter Todesfälle bei alten Menschen um 80 Prozent;
Die häufigere Hitzebelastung für Kinder, von denen nach es nach Schätzung durch UNICEF 100 Prozent mehr sein könnten bis 2050;
Die zunehmende Zahl armer unter Hitze leidender Stadtbewohner, die um 700 Prozent steigen könnte;
Extreme Gefährdung von Nahrungsmittelsicherheit und Verschärfung von Armut und Ungleichheit. (General`s Call to Action on Extreme Heat. Un.0rg. 25.07.2024)
Nach einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation steigt die Zahl der Arbeitsunfälle weltweit, und die Kosten der Arbeitsausfälle werden die Weltwirtschaft bis 2030 mit 2,4 Billionen US-Dollar belasten. Ernteausfälle und Zusammenbrüche von Infrastruktur, Wasserversorgung, Stromnetzen und Gesundheitswesen bleiben nicht aus. Zentralasien und Europa sind die am stärksten betroffenen Regionen. (Heat at Work: Implications for safety and health. ilo.org. 27.07.2027)
Das sind Auswirkungen extremer Hitze. Und dies ist nur eins der Probleme. Die Auswirkungen von Starkregen, Dürre, Stürmen und Bränden sind nicht minder schlimm.
Bislang haben die Appelle an die Nationen der Welt allerdings nicht dazu geführt, dass die Emissionen, die zu diesen Auswirkungen führen, sinken. Im Gegenteil. Das löst große Besorgnis bei den Klimaforschern aus. Denn aufgrund des Anstiegs der Meerestemperatur und der abnehmenden Leistung der Wälder als CO2-Senken kommt es zu einer schnelleren Veränderung des Erdsystems als erwartet. Pro Dekade erwärmt sich die Atmosphäre seit 2014 um 0,26 Grad. In den 40 Jahren vorher waren es 0,18 Grad pro Dekade. Das Erdsystem gerät aus den Fugen. Der dringend benötigte Ausstieg aus den fossilen Energien wird aber allein nicht reichen und muss ergänzt werden durch weitere Maßnahmen zur Ernährungswende, zur Kreislaufwirtschaft und zur Wiederherstellung der Natur. (John Rockström, Bloomberg Festival.Seattle.11.07.2024)
Sozial gerechte Transformation
Es bedarf eines Umdenkens in unserem Wirtschaften, in unserem Lebensstil, um die Emissionen zu senken, Ressourcen zu schonen und die Natur nicht weiter zu zerstören.
Wie soll dies geschafft werden, ohne den Menschen zu viel zuzumuten und dabei den damit verbundenen Wandel nicht zu verpassen? Wie wird die Herausforderung wahrgenommen und ist ein Konsens bei der Bewältigung möglich?
Es gibt gegenwärtig keine einheitliche nachhaltige, sozial-ökologische Entwicklung. Es gibt verschiedene Bewegungen, die um Nachhaltigkeit bemüht sind unter Wahrung sozialer Gerechtigkeit und planetarer Grenzen, aber es gibt auch welche, die rückwärtsgewandt sind und alles so lassen wollen wie bisher, und es gibt die, die Veränderung zu Klimaneutralität auf wirtschaftlich-technologischem Wege erreichen wollen. (Rolf Reißig. Zwischen Krise und Transformation: Das Ringen um den künftigen Entwicklungspfad. 04.09.2024)
Seitens der Wissenschaft werden die Stimmen für eine sozial gerechte Bewältigung des Klimawandels lauter. In der kürzlich erschienenen Earth Commission Studie geht es um die gerechte Ressourcenverteilung und weniger Ungleichheit. Die Studie hat erstmals Grenzen quantifiziert, bei deren Überschreitung der sichere und gerechte Handlungsraum, in dem wir gut leben können, gefährdet ist. Die Quantifizierungen wurden für Klima, Artenvielfalt, Süßwasser und Verschmutzung ermittelt. Beim Klima zum Beispiel ist die sichere und gerechte Grenze bei 1°C überschritten, um eine hohe Gefährdung durch den Klimawandel zu vermeiden. Hinsichtlich der Biosphäre gelten 50-60 Prozent natürliche Ökosystemfläche für eine globale intakte Natur als sicher und gerecht. Für lokal bewirtschaftete Natur werden als sicher und gerecht 20-25 Prozent natürliche Ökosysteme pro km² angegeben. Die Studie benennt klar die nötige Vorsorge von Energie-, Lebensmittel- und Stadtsystemen bis 2050. Die wissenschaftlich ermittelten Grenzen gelten als Input für die Entwicklung von Zielen, mit denen Unternehmen, Städte und Regierungen die Bewältigung der Polykrise angehen können. (A just world on a safe planet: The Lancet Planetary Health-Earth Commission Report on Earth-system boundaries, translations and transformations 11.09.2024)
Wie weit sind wir bei der Umsetzung von Maßnahmen gegen die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels und welche Aufgaben liegen vor uns unter dem Aspekt sozialer Gerechtigkeit?
Politisch hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) einerseits europäische Gesetze und Richtlinien auf nationaler Ebene auf den Weg gebracht oder ist dabei. Gerade ist das erste deutsche Klimaanpassungsgesetz in Kraft getreten. Das Aktionsprogramm zum natürlichen Klimaschutz wird mit vier Milliarden aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert. Seit 2000 wird die europäische Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland umgesetzt. Im März wurde ein Zustandsbericht vorgelegt, demzufolge umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässer vorgenommen werden. Aber für alle diese Umsetzungen fehlt es an finanziellen Mitteln. Dabei dienen diese Maßnahmen zugleich auch dem Menschenschutz. Nach der öffentlichen Wahrnehmung allerdings beschäftigen sich Politik und öffentliche Debatte vorwiegend mit den Themen Freiheit und Sicherheit im Sinne von Sicherung der Grenzen oder Sicherheit der öffentlichen Ordnung, und die Klimapolitik wie auch der Schutz der Ökosysteme ist aus dem Blick geraten.
Neben der Politik treten viele Institutionen, Organisationen, Akteure in Erscheinung, die sich der Aufgabe der großen Transformation widmen und sich gegen die Kräfte stemmen, die sie verhindern wollen, allerdings wenig sichtbar in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie bieten aber zahlreiche Informationen und praktische Beispiele, wie zum Beispiel die UN-Dekade, eine Bewegung mit Beteiligung von 70 Staaten und vielen Organisationen, die sich um die Wiederherstellung von Ökosystemen bemüht. Auf europäischer Ebene bringt zum Beispiel Europe Calling als Online-Plattform viele Menschen unter anderem zu sozial-ökologischen Themen der Europapolitik zusammen. Und um ein Beispiel auf Landesebene zu nennen, bietet das Wuppertal-Institut viele Informationen zu Nachhaltigkeit.
Zur Lage der Energie- und Klimapolitik hat sich erfreulicherweise laut Update der Europäischen Kommission die Stromversorgung aus erneuerbaren Energien in der ersten Hälfte 2024 um die Hälfte verbessert, und die Einfuhr russischer fossiler Rohstoffe wurde von 45% auf 15% gesenkt. Doch die THG-Emissionen müssen in den nächsten fünf Jahren noch um 22,5% gesenkt werden. Selbst wenn wir es hinbekommen würden, morgen schon klimaneutral zu sein, würde das sehr träge reagierende Erdsystem uns aber noch lange mit schlimmen Folgen treffen, denn CO2 verbleibt auf viele Jahrtausende in der Atmosphäre. Das bedeutet, dass neben dem Klimaschutz und der Aufgabe, die Emissionen zu senken, gleichzeitig an der Vorsorge gegen die Folgen des Klimawandels gearbeitet werden muss, und dies in Verbindung mit der Bekämpfung der Zerstörung der Ökosysteme, die einen wichtigen Beitrag für das Klima leisten.
Vorsorgepolitik
Welche Veränderungen sind zur Vorsorge gegen die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels notwendig?
Im Kern ist die Bewältigung der Krise eine soziale Frage, weil die Folgen besonders die Schwächeren der Gesellschaft treffen, wohingegen die Verursacher der Klimakrise eher die Wohlhabenden sind. Einkommensschwache müssen überproportional mehr für Wohnung, Nahrung, Energie ausgeben als Wohlhabende. Der Spielraum für zusätzliche klimaschützende Ausgaben ist dadurch geringer. Klimaschutzmaßnamen und Veränderungen zur Vorsorge müssen das berücksichtigen und für sozialen Ausgleich sorgen. In der Gesellschaft wird Klimaschutz zwar für wichtig erachtet, es werden aber auch Sorgen geäußert, dass es nicht genug sozialen Ausgleich gebe und die Gesellschaft sich dadurch polarisiere.
Unsere planetaren Grenzen sind derzeit sehr stark belastet beziehungsweise sechs von neun schon überschritten durch den zu hohen Verbrauch natürlicher Ressourcen und viel zu starker Nutzung fossiler Energie. Um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, bedarf es aber in kürzester Zeit vermehrter Anstrengungen bei der Emissionssenkung. Mit dem jetzigen Tempo wird das nicht möglich sein. Erhöhtes Tempo bedeutet, dass verändertes Verhalten aller notwendig ist und die Finanzierung solcher Maßnahmen für alle möglich sein muss. Sozialer Ausgleich kann dabei sein:
die Rückverteilung aus der CO2-Abgabe (Klimageld),
bessere Infrastruktur (ÖPNV mit günstigen Tickets) und
Unterstützung bei der energetischen Sanierung (Sara Holzmann, Dr. Ingo Wolf. Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit. Bertelsmann Stiftung).
Für eine Politik, die die Anstrengungen zur Eindämmung der Klimakrise und die Anpassung an ihre Folgen gerecht auf die Schultern der Gesellschaft verteilt, setzt sich auch der Sozialverband VdK NRW ein. Auf dem 22. Ordentlichen Landesverbandstag wurde unter anderem die Grundposition zur sozial gerechten Klimapolitik verabschiedet. Über die erwähnten Aspekte hinaus sind weitere sehr konkrete Maßnahmen enthalten, die für sozialen Ausgleich sorgen können, wie zum Beispiel:
Klimaanpassung im Wohnsektor für Vermieter und Mieter bezahlbar machen,
gemeinschaftliche Wärmenetze fördern, so dass auch Einkommensschwächere klimabewusst heizen können,
grün-blaue Infrastruktur in dicht besiedelten Gebieten zur Verbesserung des Mikroklimas fördern, um auch Ärmeren im Quartier eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen,
für soziale Einrichtungen Hitzeaktionspläne entwickeln und über Gesundheitsrisiken durch klimawandelbedingte Folgen aufklären (VdK – Grundposition für eine sozial gerechte Klimapolitik 2024).
Jetzt hat der Club of Rome zusammen mit dem Wuppertal Institut und „Earth for All“ einen neuen Bericht vorgestellt, der deutlich sagt, dass die ökologische Transformation nur gelingt, wenn die soziale Ungleichheit beseitigt wird, und fordert:
den Abbau klimaschädlicher Subventionen und
die Anpassung der Schuldenbremse.
Zur Finanzierung der Maßnahmen sei eine Beteiligung der Wohlhabenden notwendig (Earth for All: Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle. Okt. 2024).
Dazu passt die im Strategiepapier der SPD für den Wahlkampf 2025 erklärte Forderung der
Besteuerung von Superreichen, denn zehn Prozent Superreicher verursachen 50 Prozent der CO2-Emissionen. Da ist es nur gerecht, dass diese Menschen einen höheren Beitrag zur Finanzierung von Klimaschutz leisten und die Ärmeren entlasten sollten (Strategiepapier der SPD „Wir kämpfen für Deutschlands Zukunft: Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern, Beschäftigte entlasten“ 2024). Allerdings ist die Priorisierung dieses Finanzierungsinstruments für Wirtschaftswachstum zur Erreichung von Wohlstand für alle unter dem Aspekt der planetaren Grenzen auch kritisch zu sehen. Aber das ist eine komplexe Frage für einen neuen Beitrag.