Wie Suffizienzpolitik bei der Umsetzung des Klimaschutzkonzeptes helfen kann

Auf der Konferenz des Weltklimarates in Ägypten haben wir gerade erfahren, dass die meisten Staaten die nationalen Klimaschutzziele verfehlt haben und damit das global vereinbarte 1,5° Klimaziel in weite Ferne gerückt ist.
Ob zukünftig mit mehr Effizienz und technischen Lösungen zur Einsparung von Energie und zur Senkung der THG-Emissionen die Erderwärmung noch gestoppt werden kann, wird immer fraglicher. Denn die CO2-Emissionen sind ungebrochen hoch, und die Wachstumsspirale, die viel zu viel Energie und Ressourcen verschlingt, ist ungebremst. Die ökologischen Schäden werden immer größer. Die Natur kann sich nicht regenerieren.
Vielen Verantwortlichen ist daher klar, dass wir eine große Transformation brauchen. In einem Podcast „Zukunftswissen.fm“ vom April 2022 des Wuppertal-Instituts wurde der OB von Wuppertal, Uwe Schneidewind, gefragt, wie die Stadt der Zukunft aussehe. Er sieht sie so: Im Mittelpunkt stehe der soziale Zusammenhalt, und sie komme ohne Technik-Visionen aus, ohne Effizienz, aber es brauche Suffizienz.
Suffizienz ist eine der Transformationsstrategien zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde 1987 von der Weltkommission erarbeitet, die den Brundtland-Bericht herausbrachte. Danach gilt, dass eine nachhaltige Entwicklung die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht gefährden dürfe, ihre eigenen Bedürfnisse auch noch befriedigen und ihren Lebensstil wählen zu können. Suffizienz steht für „weniger“, weniger Energieverbrauch, weniger Ressourcenverbrauch.
Wie lassen sich aber die gegenwärtige erhöhte Nachfrage und Bedürfnisbefriedigung unserer Generation unter Berücksichtigung vorhandener Ressourcen mit den Zielen für die kommenden Generationen vereinbaren?
Was muss sich ändern, um sicherzustellen, dass die Regenerationsfähigkeit der Umwelt erhalten bleibt und Ressourcen auch für zukünftige Generationen noch genug da sind?
Um eine Verringerung von Konsum und Produktion und eine verringerte Nachfrage nach Gütern zu erreichen, braucht es neue Sichtweisen und entsprechendes verantwortungsvolles Handeln.
Wir wissen, dass wir die CO2-Emissionen ab sofort senken müssen. Das gilt für die Industrie genauso wie für den Verkehrs- und Gebäudesektor, die Landwirtschaft, Handel und Gewerbe und jeden einzelnen von uns. Das passiert aber nicht.
Wir gehen wie gewohnt unserem alltäglichen Leben nach, gehen Weihnachtgeschenke kaufen, schmücken die Wohnung, laufen über den Weihnachtsmarkt und bleiben beim Glühweinstand für eine kleine Pause stehen, wir fahren in Urlaub, zu Veranstaltungen, alles so, als gäbe es keine Krisen. Keine Energiekrise, keine Klimakrise, keine Ernährungskrise, keinen Krieg. Mancher muss aufpassen, dass er nicht zu viel ausgibt oder kann sich nichts von alledem leisten. Aber es ist Weihnachtszeit, und da braucht man schon etwas fürs Gemüt, besonders etwas für die Kinder, und man stellt ganz schnell all die Probleme hintenan. Das ist sehr verständlich, denn die Krisen sind zusammengenommen ausgesprochen komplex. Und da weiß man gar nicht, wo man mit der Bewältigung anfangen soll. Und gibt es nicht eine Regierung dafür? Kluge Leute, die sich kümmern?

Aber so einfach ist es nicht. Unter der Weltgemeinschaft gibt es Staaten, die vom Erdöl und Gas weiter profitieren wollen oder in Zukunft anfangen möchten, diese Ressourcen unter ihrem Land zu nutzen wie z. B. der Senegal oder die Republik Kongo. Und Deutschland verzichtet
auch nicht ab sofort auf Kohle und Gas, denn die Industrie muss weiter florieren, und wir sollen in unseren Wohnungen nicht auf Wärme verzichten müssen. Die Industrie muss weiter produzieren, um unsere Konsumwünsche zu erfüllen. Damit verdienen die Unternehmen und die Beschäftigten ihr Geld. Das ist ihr Zweck. Daraus den Ausgang zu finden, eine Hinwendung zu einer Transformation, das ist nicht leicht.
Jane Goodall, bekannte Verhaltensforscherin, die im Nationalpark Gombe in Tansania arbeitet, erlebt gerade, wie seit 1960 fast alles im großen äquatorialen Waldgürtel abgeholzt wurde. Das gewonnene Ackerland wurde übernutzt und unfruchtbar. Sie appelliert eindringlich zu einem Umdenken und findet die Vorstellung vom dauerhaften Wirtschaftswachstum „irrsinnig“.
Global nimmt die Menschheit 74% mehr Ressourcen in Anspruch, als die Ökosysteme regenerieren können. Bei unseren begrenzten natürlichen Ressourcen ist unbegrenztes Wachstum unmöglich. Überproduktion und Überkonsum zerstören die Natur, bringen lebenswichtige Ökosysteme zum Kollabieren, und dies dient auch letztendlich nicht der Wirtschaft. Es braucht dringend politische Entscheidungen für eine Transformation.
Einer, der daran arbeitet, grundlegende Erkenntnisse für eine Transformation zu liefern, ist Professor H.J. Schellnhuber. Er leitete bis 2018 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und sprach Ende Mai auf einem Kongress des „New European Bauhaus“, wo es darum ging, wie Industrie und Wirtschaft einen Weg in eine nachhaltige Zukunft finden. Er stellte einen sehr interessanten Ansatz zur Lösung der Klimakrise auf dem Gebiet des Bauens vor.
Die Bebauung der Umwelt sei einer der größten Verursacher von Treibhausgasen und Abfällen in Industrieländern. Auf diesem Sektor könne die Kohlenstoffbindung von Biomasse, die nicht auf energetische Nutzung zielt, sondern als Rohstoffmasse auf die Nutzung beim Bauen, ein Weg zur Klimaneutralität sein. Voraussetzung sei genug Wald, dessen Holz als Baumaterial dient. Das erfordere eine massive Aufforstung, wobei immer nur so viel entnommen werden darf, wie nachwächst.

Schellnhuber sieht sehr wohl die Schwierigkeiten bei der Betrachtung so komplexer Probleme wie die der Klimakrise, die wir gerade bewältigen müssen, aber glaubt auch an die große Chance für die Begrenzung der Erderwärmung durch den Bau- und Designsektor. Dieser Sektor sei ein „Tipping Point“. Das ist ein Punkt in einem komplexen System, von dem aus man die Möglichkeit hat, eine Steuerung in die richtige Richtung zur Lösung zu erreichen. Für den erforderlichen Waldumbau brauche es diese Steuerung in eine andere Richtung, vor allem da, wo Wald für Plantagen für Sojabohnen und Palmöl oder für Weideland für Rinderherden zerstört wird. Ein solcher Waldumbau würde eine bessere Landnutzung bedeuten.
Bisher habe man sich beim Bauen vor allem mit Fassadendämmung beschäftigt oder damit, Haustechnik im Gebäude energieeffizienter zu machen. Das sei zu wenig.
Bauen mit Holz oder auch mit Bambus bietet sehr viel Potenzial zur Einsparung von CO2-Emissionen, denn der Kohlenstoff bleibt im Holz gebunden, und der große Energieverbrauch für die Herstellung von Zement, Beton und Stahl entfällt. Technisch ist es sogar möglich, Wolkenkratzer aus Holz zu errichten.
Holz ist neben Stein, Lehm und Stroh ein traditioneller Baustoff, seit Jahrhunderten wird er verwendet. Was Energie anbelangt, ist er sehr genügsam und als nachwachsender Rohstoff sehr ressourcenschonend. Für die Suffizienzpolitik ist er deshalb besonders interessant, weil er sehr gut bei Sanierung und Nachverdichtung einsetzbar ist. Holz ist ein leichter, aber auch sehr tragfähiger Baustoff, der gut für Aufstockungen geeignet ist.
Auf diese Weise bei Sanierungen und Nachverdichtungen eingesetzt, kann Holzbauweise einerseits helfen, Flächennutzung zu verringern.
Andererseits können Gebäude oder Gebäudeteile aus Holz zu „Kohlenstoffsenken“ werden.
Ein ganz anderer Einspargedanke zielt auf eher planungs- und ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Reduzierung des immensen Flächenverbrauchs beim Bauen. Dadurch trägt der Bausektor ganz erheblich bei, dass die CO2-Emissionen nicht sinken.
Wohnungen fehlen vor allem in Städten. Auf der anderen Seite bewohnen aber Menschen viel zu große Häuser mit 50m² Wohnfläche pro Kopf im Schnitt. Umzüge in kleinere Wohnungen für Paare oder Alleinstehende sind schwierig wegen sehr hoher Mietpreise.
In dieser Situation ist auffällig, dass im Verhältnis zum Bevölkerungszuwachs es einen überproportional höheren Zuwachs an Neubauten, besonders Eigenheimen, gibt. Diese Neubauprojekte führen zu Erschließungen von Acker- und Grünflächen. Beschränkung der Bautätigkeit fällt den Kommunen aber schwer, wenn Wohnraum gebraucht wird und Steuerzahler die Einnahmen der Gemeinde erhöhen. Mit vermehrter Bautätigkeit und größeren Wohnungen steigen jedoch die Emissionen.
Private Haushalte sind für gut ein Viertel des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland verantwortlich. Davon wird die meiste Energie für Heizung und Warmwasser gebraucht.
Eine Suffizienzmaßnahme beim Bauen wäre die Reduktion der Standardpersonenfläche. Bei sinkendem Pro-Kopf-Bedarf an Wohnraum um 3% könnten die CO2-Emissionen bis 2030 um 13,8 Millionen Tonnen verringert werden, errechnete das Öko-Institut des Umweltbundesamtes. Eine weitere, aber stringentere Maßnahme wäre die Durchsetzung eines Flächenmoratoriums durch den Bundesgesetzgeber, die den Zubau neuer Wohnflächen begrenzt.
Weitaus charmanter kommen Lösungen wie Cluster-Wohnmodelle daher. Ein Beispiel dafür ist die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich. Mitinitiatorin war Christine Seidler, Professorin für Stadtentwicklung an der Fachhochschule Graubünden. In dem Areal gibt es Wohnungen, die mit 26-45 m² ideal für Singles oder Paare jeden Alters sind. Die einzelnen Wohnungen bestehen aus selbstständigen Wohneinheiten, welche sich zu einer größeren Wohnung zusammenfügen. Es gibt gemeinsam nutzbare Räume wie Küche, Ess- und Wohnraum. Aber jede Einzelwohnung hat einen eigenen Sanitärbereich und eine kleine Küche.
Auch hier geht es darum, den Pro-Kopf-Wohnraum zu verkleinern und damit Ressourcen zu schonen und Energie einzusparen.
Wenn wir die Chance nutzen wollen, dass wir auch in Zukunft noch gut leben können, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, einfach mehr drauflos zu bauen, größer, luxuriöser und verschwenderischer, sondern es muss das Klimaziel im Auge behalten werden. Zukünftig wird sich jedes Bauprojekt nicht nur daran messen lassen müssen, wie effizient durch technische Innovationen und umweltschonend es daherkommt. Denn ob die Technologien uns ganz schnell aus der Klimakrise führen können, ist sehr ungewiss.
Es wird deshalb insgesamt auch um ein „Weniger“ gehen müssen: den verschwenderischen Umgang mit kostbarem Boden stoppen, mit anderen Materialien wie Holz den Ressourcenverbrauch für Zement, Beton und Stahl verringern, insgesamt weniger Energie verbrauchen und weniger CO2 emittieren. Und damit zur Lösung der Klimakrise beitragen. Es gilt, jetzt alle verfügbaren Senkungspotenziale ganz schnell einzusetzen.
Es wäre von daher wichtig, bei der Umsetzung des Klimaschutzkonzeptes des Kreises Viersen, das demnächst in Grefrath gelten soll, diesen Ansatz der Suffizienz bei der Implementierung einer klimaschutzbezogenen Bauleitplanung zu berücksichtigen.
Doris Friemelt